Dr. Gerald Lutz erneut Verbandsarzt im Deutschen Eisschnellauf
Interview mit der "Thüringer Allgemeinen" vom 15.07.2020
Erfurt. Es war praktisch die erste Maßnahme vom vorerst bis September als kommissarischer Präsident amtierenden Matthias Große: Der Berliner Unternehmer, Lebensgefährte der fünfmaligen Olympiasiegerin Claudia Pechstein, holte den Thüringer Sportmediziner Dr. Gerald Lutz als Verbandsarzt in die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft zurück. Wir sprachen mit dem 53- Jährigen, der am Olympiastützpunkt als Arzt in Oberhof und Erfurt tätig ist, wo er zudem eine orthopädische Praxis hat.
Was für ein Comeback!
Meinen Sie, weil ich von 2006 bis 2017 schon Verbandsarzt war?
Ja. Immerhin rund zwölf Jahre.
Eisschnelllauf und Leistungssport sind für mich Herzensangelegenheiten. Mein Selbstverständnis ist da sehr klar: Nur, wenn es professionelle Rahmenbedingungen gibt, haben die Sportlerinnen und Sportler eine gute Basis für den Erfolg. Dazu möchte ich als Verbandsarzt beitragen. Die unrühmliche Vergangenheit und das geringschätzende Verhalten in den letzten Jahren spielen für mich keine Rolle mehr. Die bisherigen Akteure sind zum Glück nicht mehr da.
Das Sagen im Verband hat bis zur Wahl im September nun Matthias Große. Er ist nicht umstritten.
Matthias ist ein Macher. Er lebt den Eisschnelllaufsport und möchte ihn zurück in die Erfolgspur bringen. Ich habe ihn in den letzten Jahren gut kennengelernt – allein durch die Unrechtssperre von Claudia Pechstein. Er ist geradlinig, agiert auf Grundlage von Überzeugungen, man kann sich auf sein Wort verlassen. Zudem ist er ein erfolgreicher, intelligenter Unternehmer, der auch Sponsoren beschafft. Für das Eisschnelllaufen besitzt er ein klares Konzept, er kann so Großes vollbringen. Zwischen uns hat sich ein Verhältnis entwickelt, das auf Respekt und Vertrauen beruht.
Keine Große-Schwäche?
Wer Dinge anspricht, wird nicht nur Applaus erhalten. Er übernimmt einen Verband, der bisher nicht gerade vor Professionalität glänzte. Dies zu verbessern wird nicht ohne klare Veränderungen gehen.
Sie haben sich damals sehr für den Freispruch von Claudia Pechstein nach den Dopingvorwürfen eingesetzt und Sie auf Ihrer juristischen Odyssee seit 2009 begleitet. Die führte sogar bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sind Sie noch verärgert, dass es keinen kompletten Freispruch gab?
2015 entschuldigte sich bereits der Deutsche Olympische Sportbund bei Claudia und bezeichnete sie als Opfer der Willkür der Sportgerichtsbarkeit. Nicht zuletzt der internationale Verband muss sich Fragen über seine Rolle im Umgang mit einer nachweislich unschuldigen Spitzensportlerin gefallen lassen. Der Weg von Claudia zur vollständigen Rehabilitation ist noch nicht zu Ende und ich werde sie als Arzt und Freund auf diesem weiter begleiten.
Claudia Pechstein ist 48 Jahre - wie lange wird Sie noch laufen?
Das kann nur sie selbst sagen. Sie ist eine absolute Ausnahmesportlerin, da reicht ein Blick auf ihre Erfolge, aber auch auf ihre aktuellen Leistungen. Mit 48 ist sie noch Teil der Weltspitze. Das ist einzigartig.
Peking 2022 könnte ein weiteres Ziel sein. Dauert bis zu den nächsten Spielen Ihre Amtszeit?
Meine Aufgabe beginnt gerade. Da denke ich nicht über das Ende nach. Fest steht, dass es eine Teamarbeit mit Medizinern aus Inzell und Berlin wird. Es ist ein Ehrenamt, das viel Zeit beansprucht und auch stets Abstimmung mit der Arbeit in Thüringen erfordert.
Niemann-Stirnemann, Friesinger, Anschütz, Beckert, Schenk – Weltspitze, die mal war. Wie sehen Sie das deutsche Eisschnelllaufen?
Sportlich und wirtschaftlich ist es die schwierigste Lage seit Gründung des Verbandes. Nur Engagement und Fachwissen können ihn noch retten.
Große will frühere Erfolgstrainer wie den Erfurter Stephan Gneupel oder Joachim Franke, die in Rente sind, wieder einbinden. Ist das richtig?
Sie haben ja nicht zufällig so viele Erfolge mit ihren Sportlern erreicht. Sicherlich ist eine Modernisierung wichtig, dabei sollte auf Erfahrungen jedoch nicht verzichtet werden.
Und wie ist es um das Erfurter Eisschnelllaufen bestellt? Da scheinen die glanzvollen Zeiten auch vorbei.
In der Nationalmannschaft sind zahlreiche Athleten vom ESC vertreten. Und ich habe auch den Eindruck, dass Talente nachrücken. Bis ganz nach oben ist es allerdings ein langer, schwieriger Weg.
Als Sportarzt, der auch Thüringer Top-Athleten außerhalb des Eisschnelllaufens betreut, müssen Sie beim Thema Doping ständig aktuell auf dem Stand sein. Ist das komplizierter als noch vor fünf Jahren?
Nein, denn es gab und gibt klare Richtlinien, die man kennen und anwenden muss. Es ist klar definiert, was verboten ist, daran haben sich Sportler und Ärzte schlicht zu halten. Außerdem existieren Kriterien der Welt-Anti-Dopingagentur, die die Gesundheitsschädigung und Verstöße gegen Werte des Sports beschreiben. Wer als Mediziner dagegen vorsätzlich
verstößt, hat im Leistungssport nichts zu suchen. Für mich zählen die beste Betreuung der Sportler im Verletzungsfall und eine gute Prävention zum Verletzungsschutz. Dafür braucht man keine verbotenen Substanzen, sondern medizinisches Wissen und eine gute Organisation der medizinischen Abläufe.
Der Molekularbiologe Professor Sörgel hat nach eigener Aussage den Glauben an dopingfreien Spitzensport zunehmend verloren.
Ich halte den Sport in Deutschland für strukturell sauber. Sonst wäre ich nicht als Verbandsarzt tätig. Wichtig ist, dass die Kontrollen gut und umfassend sind, wobei ich es für problematisch halte, wenn sich die Verbände selbst kontrollieren.
Der Erfurter Arzt Mark Schmidt sitzt in Untersuchungshaft, beschuldigt des Blutdopings.
Schlimm für den Sport, die Medizin, Thüringen, die Landeshauptstadt. Wenn die Vorwürfe stimmen, dann hat er das Problem aus dem Radsport bis nach Erfurt getragen und für großen Schaden gesorgt. Wobei ich nicht verstehe, dass viele die Begrifflichkeit der „Causa Erfurt“ verwenden. Der Terminus sorgt für ein schlechtes Image, das falsch und ungerechtfertigt ist. Dabei darf eines nicht vergessen werden und sollte im Mittelpunkt stehen: Thüringen war, ist und bleibt ein Sportland mit großartigen Athletinnen und Athleten, die sauber und hart für ihren Erfolg kämpfen.
Alternativmedizin gewinnt auch im Spitzensport immer mehr an Bedeutung. Befürworten Sie das als Schulmediziner?
Ich finde es schon gut, wenn man den Körper ganzheitlich sieht. Wirbelsäulenprobleme können auch einen Knieschmerz auslösen. Und das Prinzip, an der Stelle zu behandeln, wo es wehtut, funktioniert für eine Besserung nicht immer.
Wann werden Sie erstmals als Verbandsarzt in Erscheinung treten, wann soll der erste Wettkampf der Nationalkader sein?
Auch wenn ich in den letzten drei Jahren nicht für den Verband tätig war, sind Spitzenathleten nach wie vor zur Behandlung bei mir gewesen. Für Sportler gilt ja auch der Grundsatz der freien Arztwahl. Gemeinsam mit dem medizinischen Team erarbeiten wir nun einen Einsatzplan für die Trainingslager und die Wettkämpfe.
Interview: Gerald Müller, Thüringer Allgemeine vom 15.07.2020
Sie selbst waren bei den letzten 2 Olympischen Winterspielen als Teamarzt dabei. Wie oft sind sie mit dem Team bei der Eröffnungsfeier eingelaufen und wie kann man das Gefühl beschreiben?
In Vancouver 2010 und Sotchi 2014 hatte ich die Gelegenheit mit dem deutschen Olympiateam zur Eröffnungsfeier einzumaschieren. Dies war ein absolut bewegender Moment für jeden Teilnehmer, es ist der Zeitpunkt an dem man die ideelle Bedeutung und die Größe der Spiele verinnerlicht.
Das Olympische Dorf beherbergt die über 10.000 Sportler auf sehr engem Raum. Was sind Ihre Erfahrungen beim Einleben ins neue Umfeld?
Jede Nation wird in einem eigenen Haus oder auf gemeinsamen Etagen untergebracht. Viele kennzeichnen ihr neues Zuhause mit der eigenen Nationalfahne. Das deutsche Haus in Sotchi war sehr gut eingerichtet. Manchmal sind die Zimmer etwas knapp, sodass auch unter den Betreuern eine WG eingerichtet wird um den Sportlern die besten Bedingungen zu verschaffen. Die Zimmer sind zweckmäßig eingerichtet aber bieten keinen Sterneluxus wie im Hotel.
Das Klima in Rio und Deutschland unterscheidet sich stark. Wie lange braucht ein Athlet um sich dabei anzupassen? Was muss man für die Wettkampfvorbereitung berücksichtigen?
Rio de Janeiro liegt bekanntermaßen in der tropischen Klimazone unterhalb des Äquators. Somit ist im Monat August Winter. Das bedeutet durchschnittliche Höchsttemperaturen um 25°, teilweise natürlich auch deutlich mehr. Grundsätzlich muss die Wärme und die hohe Luftfeuchtigkeit beachtet werden.
Die Anpassung ist dabei sehr individuell. Einige Sportler kommen von Anfang an sehr gut damit zurecht, andere weniger. In der Regel sollte aber eine Anpassung innerhalb von wenigen Tagen möglich sein. Grundsätzlich ist in diesem Klima natürlich auf ausreichende Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr zu achten. Dies betrifft insbesondere Ausdauerdisziplinen wie klassischerweise den Marathon.
Es gibt Sportarten, denen kommt die Wärme immer zugute. Ich weiß, dass der deutsche Sprintstar Julian Reuss es sehr gern hat Wettkämpfe bei hohen Temperaturen zu absolviert.
Die ersten Fotos aus dem Olympischen Dorf zeigen Speisesäle für bis zu 1000 Gäste. Was haben Sie für Erfahrung mit der Qualität der Versorgung während der Spiele gemacht? Gibt es immer alles was die Akteure brauchen oder wird da auch mal alleine gekocht?
Die Verpflegung bei den Olympischen Spielen ist standardisiert. Meist wird immer ein sogenanntes großes Essenszelt aufgebaut. Die Angebote sind vielfältig: einheimische Spezialitäten, mediterrane Küche, asiatische Küche, vegetarische Küche, teilweise arabische Küche mit Helal. Ach der obligatorische McDonald's fehlt nicht.
Die Speisesäle sind rund um die Uhr geöffnet. Nicht alkoholische Getränke sind in den verschiedensten Varianten unbegrenzt erhältlich. Somit ist eine sehr ausgewogene Ernährung für die Sportler gut möglich. Nach zwei Wochen Aufenthalt sehnt man sich trotz des reichhaltigen Angebots auch mal wieder nach anderen Speisen. Insgesamt ist das Angebot jedoch sehr gut.
Stichworte Ernährung und Wettkampfvorbereitung. Die Wettkämpfe sind der Höhepunkt des Sportjahres und etwas Besonderes für jeden Teilnehmer. Wann beginnt man mit der Wettkampfvorbereitung im Idealfall und auf was achten die Sportler in der Vorbereitung aber auch zwischen den Wettkämpfen am meisten?
Die Wettkampfvorbereitung ist individuell sehr unterschiedlich. Dies hängt auch von der Sportart, von der Entfernung der Sportstätte zum olympischen Dorf und von der Tageszeit ab.
In Sotschi waren ideale Bedingungen für die von mir betreuten Eisschnellläufer. Das deutsche Haus war nur 8 Gehminuten von der Eishalle entfernt, so dass man 60-120 Minuten vor Wettkampf die Unterkunft in Richtung Wettkampfstätte verlassen konnte. Jeder hat abhängig von der Sportart sein eigenes System der Vorbereitung. Diese Prozesse sind hundertfach durchgespielt und die Athleten beherrschen die Abläufe nahezu automatisiert.
Vom Sportmediziner zum Sportfan. Sie fiebern sicher mit allen Ihren „Schützlingen“ mit. Was ist ihr größter Wunsch, ihre größte Hoffnung für die Spiele?
Es ist wirklich eine sehr beeindruckende Leistung, wie sich die Erfurterin Kristina Vogel nach ihrem schweren Unfall wieder zurückgekämpft hat und mit nur 21 Jahren zur Olympiasiegerin in ihrer Disziplin Bahnrad wurde. Es wäre mehr als beeindruckend, wenn Sie weiter an der Spitze mitfahren würde. Natürlich wünsche ich dem gesamten starken Erfurter Bahnradteam viel Erfolg.
Dem aktuell besten deutschen Sprinter über 100 m und Halter des deutschen Rekords, Julian Reus, drücke ich natürlich persönlich sehr die Daumen für ein erfolgreiches Abschneiden.
Die Privatpraxis
Dr. med. Gerald Lutz
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