Warum Leon Goretzka zum Auftaktspiel ausfällt
Mit dem Start der Fußball Europameisterschaft richten sich die Blicke der Sportwelt wieder auf die Spielfelder. Doch schon länger weiß man, dass auch neben dem Platz und gerade in den medizinischen Abteilungen der Teams Höchstleistungen geboten werden. Nur wer verletzte Spieler schnell und nachhaltig wieder fit bekommt, hat eine Chance vorne dabei zu sein.
Im folgenden Interview berichtet der Sportmediziner und Olympiaarzt Dr. med. Gerald Lutz über die typische Verletzung „Muskelfaserriss“, die auch der deutsche Nationalspieler Leon Goretzka beim Bundesligaspiel des FC Bayern München gegen Borussia Mönchengladbach erlitten hat.
Verletzungen von Muskeln und Sehnen nehmen beim Profifußball einen Spitzenplatz ein. Die hohe Bewegungsdynamik führt zu einer außergewöhnlichen Belastung gesamten Bewegungsapparat, insbesondere der Muskulatur. Naturgemäße sind die unteren Extremitäten am häufigsten betroffen und hier wiederum Vorderseite und Rückseite des Oberschenkels sowie Wade.
Hierzu existiert eine Reihe von Klassifikationen. Letztendlich hat sich 2013 eine Einteilung durchgesetzt, welche im Wesentlichen auf die Arbeitsgruppe um Dr. med. Hans Willhelm Müller Wohlfahrt zurückgeht. Grundsätzlich wird zwischen funktionellen und strukturellen Verletzungen unterschieden. Zu den funktionellen Problemen zählen u.a. muskuläre Verhärtungen. Hier gibt es vielfältige Ursachen wie Stoffwechselprobleme, Überlastungen, gereizte Nerven bei Wirbelsäulenproblemen oder erhöhte Spannung in den Muskelhüllen (Faszien). Beispiel hierfür sind Muskelkater, Krämpfe und eine leichte Zerrung.
Davon müssen strukturelle Verletzungen unterschieden werden. Hierzu zählen der Muskelfaserriss, der Muskelbündelriss, der Muskelriss und die Muskelquetschung („Pferdekuss“)
Ein erfahrener Sportarzt kann durch bestimmte Tests und gezielte Untersuchung eine Muskelverletzung feststellen und klassifizieren. Ergänzt wird die Unterscheidung häufig durch eine Sonographie oder eine MRT Untersuchung. Ein Muskelfaserriss zeigt hier im Querdurchmesser eine Verletzung bis maximal 5 mm, während ein Bündelriss eine Verletzung von mehr als 5 mm bis mehrere Zentimeter aufweist. Erfahrungsgemäß heilt ein Muskelfaserriss in 2-4 Wochen ein Muskelbündelriss in 6-8 Wochen.
Hier gibt es viele Ursachen. Sehr häufig sind Probleme im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule. Hier verlässt ein Nerv die Lendenwirbelsäule, welche die Rückseite des Oberschenkels versorgt. Prominentes Beispiel ist der jamaikanische Ausnahmesprinter Usain Bolt, welcher bei der letzten Weltmeisterschaft in der 4x100 m Staffel eine Verletzung der Oberschenkelrückseite (Hamstrings) erlitt.
Bei Überlastungen im unteren Rücken kommt es zu lokalen Verspannungen mit Kompression eines Nerven. Dies führt dann zu einer erhöhten Vorspannung im versorgten Muskel. Bei einer Sprintbelastung insbesondere beim so genannten „langen Schritt“ ist der Muskel nicht in der Lage sich entsprechend zu dehnen. Dies führt dann zu einer Verletzung. Andere Ursachen können in einer Verdrehung des Beckens liegen mit erhöhter Spannung von Bändern, welche dann wiederum die Oberschenkelrückseite selbst unter Spannung setzen. Aber auch stoffwechselgestörte Muskulatur wie sie nach/bei Infekten oder durch zu geringe Regeneration bei hohen Trainingsbelastung zu beobachten ist kann ein Risikofaktor für einen Muskelfaserriss darstellen. Beispielsweise hatte Leon Goretzka nach Corona Infektion im Januar 2021 muskuläre Wadenprobleme.
Spürt ein Fußballer im Spiel einen stechenden Schmerz beispielsweise im Oberschenkel, sollte zügig reagieren. Am wichtigsten ist die sofortige Belastungspause und Kompression.
Die Erstbehandlung erfolgt nach dem „RICE“ Schema = Rest, Ice, Compression, Elevation. (auf Deutsch: Pause, Eis, Kompression, Lagerung)
Lange Zeit galt die Devise: „bei Muskelverletzungen auf gar keinen Fall dehnen“.
Dies hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert.
Während der Akutphase in den ersten Tagen sollte die Schmerzgrenze respektiert werden und im schmerzfreien Bereich bewegt werden. Nach 4-5 Tagen sollte mit einer Dehnung begonnen werden, um nach 14 Tagen das volle Bewegungsausmaß zu erreichen. Wird der Muskel über längere Zeit nicht gedehnt, dann bilden sich im Rahmen der Heilung Quervernarbungen („Cross links“), die dann zu einer dauerhaften Verkürzung des Muskels führen können. Fazit: Dehnen ist erst nach Abklingen der Akutphase sinnvoll.
Dies hängt natürlich sehr vom betroffenen Muskel ab. Und hier ist es wiederum sehr wichtig ob Muskelfasern oder schon sehnige Anteile betroffen sind. Der Muskel setzt bekanntlich mit seiner Sehne am Knochen an. Die Sehne ist in Höhe des Knochenansatzes sehr kräftig und verjüngt sich in Richtung Muskulatur und verbleibt als zarter Sehnenspiegel innerhalb des Muskels. Dies gilt insbesondere für die Hamstrings.
Sind fast nur muskuläre Anteile und diese nur sehr leicht betroffen (2-3 mm im Querdurchmesser) dann kann der Muskel auch schon nach 14 Tagen ausgeheilt sein. Ist der Sehnenspiegel innerhalb des Muskels mit betroffen, dann kann die Ausheilung auch 4-6 Wochen dauern. Bei Leon Goretzka liegt möglicherweise letztere Verletzung vor.
Nach gründlicher und exakter Diagnose durch einen Sportarzt kann ein Behandlungskonzept erstellt werden. Dieses umfasst Physiotherapie, Tragen von Kompressionsstrümpfen, Einnahme von Medikamenten zur Abschwellung (z.B Enzyme) und Verbesserung des Stoffwechsels (z.B. Magnesium), ggf. ärztliche Injektionsbehandlungen sowie einen adäquaten Belastungsaufbau oder Rehatraining.
Leider ist der Schmerz bei Muskelverletzungen kein guter Ratgeber. Nach 10-14 Tagen bestehen kaum noch Schmerzen. Hier handelt es sich um die Phase der elastischen Narbenheilung. Die Narbe ist jedoch noch nicht stabil und meistens erst nach 2-4 Wochen voll belastbar, manchmal sogar noch später. Die zu frühe Belastung („es tut nichts mehr weh, also kann ich wieder spielen“) ist übrigens eine häufige Ursache von erneuten Verletzungen. Die nicht ausgeheilte Narbe wird zu früh belastet und reißt wieder ein. Häufig entstehen dann deutlich schwerere Verletzungen. Aus diesem Grunde sollte die Belastungsgestaltung mit einem erfahrenen Physiotherapeuten oder Sportarzt - am besten beiden – besprochen werden.
Die Privatpraxis
Dr. med. Gerald Lutz
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